Richter, die rechte Politik machen
Metallbarrikaden hielten die Demonstranten vom Obersten Gerichtshof fern, als der das Recht auf Abtreibung kippte.
Washington, USA (AFP) – Metallbarrikaden hielten die Demonstranten vom Obersten Gerichtshof fern, als der das Recht auf Abtreibung kippte. Das Bild hat Symbolkraft: Die Kluft zwischen der Institution und der Mehrheit der US-Bürger wird immer größer. “Mit einer konservativen Mehrheit von sechs Richtern sehen wir, wie der Supreme Court stark nach rechts steuert”, sagt Steven Schwinn, Juraprofessor an der University of Illinois Chicago.
Das wurde in den zurückliegenden Tagen mehr als deutlich: Am Dienstag vergangener Woche urteilte das Gericht, dass Familien, die ihre Kinder in religiöse Schulen schicken, mit öffentlichen Geldern unterstützt werden dürfen. Eine Entscheidung, die das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat in Frage stellt.
Nur wenige Wochen nach einem Amoklauf in einer Grundschule billigten die Obersten Richter den US-Bürgern ein Grundrecht auf das Tragen einer Handfeuerwaffe in der Öffentlichkeit zu. Und am Freitag kassierten sie das Grundsatzurteil von 1973 zum Recht auf Abtreibung. Die Urteile widersprechen der Auffassung der meisten Menschen in den Vereinigten Staaten, die Umfragen zufolge strengere Waffengesetze und legale Abtreibung befürworten.
Schon vor den jüngsten Entscheidungen war das Vertrauen der Bevölkerung in das Gericht auf einen historischen Tiefstand gesunken. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup vom 1. bis 20. Juni gaben nur 25 Prozent der Befragten an, “sehr viel” oder “ziemlich viel” Vertrauen in den Obersten Gerichtshof zu haben. Vergangenes Jahr waren es noch 36 Prozent.
Die höchste richterliche Instanz befinde sich in einer “selbstverschuldeten Legitimitätskrise”, sagt Carl Tobias, Juraprofessor an der University of Richmond. “Die Richter wirken wie politische Akteure.”
Die Menschen in den USA “haben sich lange darauf verlassen, dass das Gericht objektiv über die rechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätze entscheidet”, sagt Tracy Thomas, Juraprofessorin an der University of Akron. Nun habe sich der Supreme Court als parteiisch entlarvt und damit an Ansehen verloren.
Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden vom amtierenden Präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Unter Donald Trump waren es drei: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, die allesamt gegen Abtreibung, für das Recht auf Waffen und für die Unterstützung christlicher Schulen stimmten.
Jurist Schwinn ist überzeugt, dass es die Richter nicht bei diesen Urteilen belassen werden. “Ich denke, sie werden mit einer politisch konservativen Agenda Vollgas vorpreschen”, sagt er.
Die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und queeren Menschen, die gleichgeschlechtliche Ehe und Empfängnisverhütung könnten sie als nächstes ins Visier nehmen.
Nach dem Abtreibungs-Urteil nahm Präsident Joe Biden kein Blatt vor den Mund und verurteilte dieses als “Umsetzung einer extremen Ideologie“. Selbst Justizminister Merrick Garland kritisierte die Richter. “Die Exekutive wird sich nicht länger höflich dem beugen, was viele als illegitimes Gremium betrachten”, sagt Juristin Thomas.
Auch die bei den Urteilen unterlegenen liberalen Richter des Supreme Court – Elena Kagan, Stephen Breyer und Sonia Sotomayor – halten mit ihrer Frustration nicht länger hinterm Berg. “Mit wachsender Besorgnis darüber, wohin uns dieser Gerichtshof als nächstes führen wird, stimme ich respektvoll nicht zu”, erklärte Sotomayor ihre abweichende Meinung im Religionsurteil.
sp/ju
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